Klingenteichstraße 6, 69117 Heidelberg

 

Ella Gutman und Alfred Mombert

Ella Gutman (1868 – 1960)

Alfred Mombert (1872 – 1942)

Einem schönen Lande zugehörig ganz
bin ich tief verwurzelt meiner guten Erde
herber Säfte reich im schwarzen Efeu-Grunde
In die lichten Räume dürfen meine Äste
frei eindringen, schwingen auf den Äther-Winden
weit hinaus. Dort atmen meine Knospenwipfel
reine Lüfte, wie sie niedergleiten an der
Berge Quellen-Feuchte, kühlem Wald-Gesäusel

Mit diesen Zeilen beginnt der Gesang der „Alten Linde auf dem Heidelberger Schloß“ aus Alfred Momberts Mythos „Sfaira der Alte“, der 1936 im Verlag Sal­man Schocken erschien. Alfred Mombert lebte damals unterhalb des Schlosses am Klingenteich 6.

Geboren wurde                                                                                                                                        

Alfred Mombert in Karlsruhe am 6. Februar 1872 als zweites von drei Kindern des Kaufmanns Eduard Mombert und seiner Frau Helene, geborene Gompertz. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte Alfred Mombert Jura in Heidelberg, Leipzig, Berlin und eröffnete 1899 eine Rechtsanwaltspraxis in Heidelberg.

Schon seit Beginn seines Studiums hatte er begonnen zu dichten: 1894 erschien im Heidelberger Verlag Hörning sein erster Lyrikband „Tag und Nacht“, der neben liebevollen Familien- und Naturbeschreibungen auch witzige Großstadtgedichte nicht sehr frivoler Liebeslyrik enthielt, unter anderem auch jene Vision mit dem Titel „Ich saß auf rotem Pfühl im Prunkgemach“, über die der Dichter schrieb: „incipit creatio“, d.h. die er als den Beginn seiner schöpferischen Dichtung betrachtete.

Gefördert von seiRudolf Weiß 1898nem Freund Richard Dehmel, zählte Alfred Mombert bald zu jenen rasch berühmten jungen Dichtern, „denen das Europa der Jahrhundertwende eines neuen Rhythmus bedürftig schien“ (U. Weber). „Die Brockhausbände mit Goethe und Schiller sind verbrannt, aber von Hand zu Hand gehen die gesammelten Werke von Alfred Mombert“, schrieb Herwarth Walden, der seine Ver­to­nun­gen Mombertscher Gedichte in seiner Zeit­schrift „Der Sturm“ veröffentlichte, während sich Alban Bergs Mombertlied „Warm die Lüfte“ im „Almanach des Blauen Reiter“ findet. Auch Maler wie Carl Hofer, E. R. Weiß und Ludwig Meidner ließen sich von Momberts Lyrikbänden „Der Glühende“, „Der Sonne-Geist“ und seinen „Aeon-Dramen“ anregen. (Das Kurpfälzische Museum besitzt ein sehr schönes Porträt des Dichters von Carl Hofer.)

Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Alfred Mombert als Unteroffizier teilnahm, kehrte er zurück nach Heidelberg in seine Wohnung am Friesenberg 1. Gemeinsam mit seinen Freunden, dem Kulturhistoriker Richard Benz und dem Maler Gustav Wolf, gründete er „Die Pforte“, eine Gemeinschaft, deren Ziel es war, in künstlerisch gestalteten Flugblättern „alte und neue Kunst und Dichtung in einzelnen Blättern zur Anschauung [zu] bringen … damit die Kunst ins Volk eindringe, um als eine allen gemeinsame Kultur von ihm wieder zu uns zurückzukehren“.

 

Flugblatt "Aeons Völkerzeit ist um"

1928 wurde Alfred Mombert in die 1926 gegründete „Sek­tion für Dicht­kunst an der Preußischen Aka­demie der Künste“ gewählt, zu der unter anderen Ricar­da Huch, Thomas und Heinrich Mann, Al­fred Döblin, Franz Werfel und Rudolf Pannwitz gehörten. Am 5. Februar 1932 gestaltete die Deut­sche Fachschaft der Universität in der Al­ten Aula eine Feier zum 60. Geburtstag des Dichters. Der Ober­bürgermeister Carl Neinhaus gratulierte: „Als Leiter der Stadtverwaltung Hei­delberg empfinde ich es mit freudigem Stolz, daß unsere

Stadt Sie seit Jahren als ihren Bürger zählen darf“. Die Berliner Akademie dankte ihm für seine „klar förderliche Mitarbeit … Sie war uns so gern gewährt, daß wir nicht bitten brauchen, sie uns weiter zu erhalten: unsere Bitte ist vielmehr ein stolzer Gruß an Ihre Zukunft“ (Oskar Loerke).

Fünfzehn Monate später - am 5. Mai 1933 - unterrichtete die Akademie Alfred Mombert per Einschreiben, dass er „nach den für die Neuordnung der kulturellen staatlichen Institute Preußens geltenden Grund­sätzen nicht mehr zu den Mitgliedern der Abteilung für Dichtung gezählt werden könne“. Es wurde einsam um Alfred Mombert. Da sein Verleger Kippenberg zögerte, „Sfaira der Alte“ herauszubringen, befolgte
Mombert den Rat seines Freundes Martin Buber und wechselte 1935 zum jüdischen Schocken-Verlag. Im April 1936 erkrankte Alfred Mombert schwer. Seine Freunde Rudolf Pannwitz, Martin Buber und Gustav Wolf lebten schon im Ausland oder bereiteten die Emi­gration vor. An Salman Schocken schrieb Alfred Mombert 1939: „Wie die Verhältnisse liegen, beabsichtige ich, zumal in meinem Alter zunächst die Entwicklung weiterhin abzuwarten und nur stärkster Notwendigkeit nachzugeben.“

 

Sektionssitzung in Berlin 1929, v.l.n.r. Alfred Döblin, Thomas Mann, Ricarda Huch, Bernhard Kellermann, Hermann Stehr, Alfred Mombert, Eduard Stucken, Aufnahme von Erich Salomon

Im April 1939 zog seine verwitwete Schwester Ella Gutman zu ihm in den Klingenteich. Im November 1940 erreichte den Schweizer Freund Hans Reinhart ein Brief aus Camp de Gurs:

»Lieber Muri: … Es ist mein Schicksal, daß Alles was ich prophetisch klangvoll gedichtet habe (zum „ästhetischen“ Genuß der Deutschen), ich später in grausamer Realität erleben muß. … Wohnung versiegelt durch Gestapo … Ich und meine Schwester (72 Jahre alt) samt der gesamten jüdischen Bevölkerung Badens und der Pfalz samt Säugling und ältestem Greis ohne vorherige Ankündigung binnen einiger Stunden zunächst auf Lastwagen zum Bahnhof und dann mittelst Extrazug abtransportiert via Marseille-Toulouse zu den Basses Pyrénées, nahe der spanischen Grenze in ein großes Internierungslager (Camp de Gurs). Bei dem riesigen und ganz plötzlichen Menschenandrang die Verhältnisse sehr schwierig und primitiv; kaum etwas zu kaufen. Ganz leichte Holzbaracken bei nächtlich kalter Witterung. Jedoch gute Luft (700 m Höhe). Man gibt sich anerkennenster Weise große Mühe zu bessern, soweit möglich. Meine Schwester ist bei mir, aber getrennt in anderen Baracken. Die Zukunft ist völlig dunkel. Wie lange wird dieser Zustand dauern können? Wie lange wird man unter gänzlich ungewohnten primitiven Verhältnissen durchhalten können? Ob Ähnliches je einem deutschen Dichter passiert ist? Die schönsten Grüße von „Sfaira dem Alten“«

                                                                                                                                                        Von Momberts Liebe zu seiner Schwester Ella Gutman, der er schon 1891 sein erstes Gedicht „Erwachen“ widmete, zeugen seine fürsorglichen Briefe, die er ihr in die Frauenbaracke schickte: 

 »Liebe Ella! Ich hoffe, daß du mutig durchhältst ... Sage mir, was dir hauptsächlich fehlt. Falls du noch ein Kopfkissen brauchst, kannst du es bekommen, ebenso meine halb- oder ganzwollenen Strümpfe.«

Im April 1941 gelang es den Freunden, die Geschwister zunächst imInternierten-Sanatorium von Idron par Pau unterzubringen. „Die Direktion des Hauses hat ein früherer Heidelberger Arzt, Dr. Brunswig, der mich dort schon behandelte. Meine Schwester ist wie neu geboren (bei mir gehört das zum Beruf)“, heißt es im Brief an Hans Reinhart. In Idron vollendete Mombert

weitgehend sein „opus ultimum“ „Sfaira der Alte“ Teil 2. Am 11. Oktober 1941 erreichten Alfred Mombert und Ella Gutman Winterthur, wo sie im Haus ihres Freundes Hans Reinhart wohnten. Alfred Momberts 70. Geburtstag wurde in der Literarischen Vereinigung Winterthur gefeiert – Hans Reinhart überreichte seinem Freund einen Privatdruck von „Sfaira der Alte“ Teil 2.

Alfred Mombert starb am 8. April 1942 in Winterthur. In seinem Testament bestimmt er seine Schwester Ella zur Alleinerbin – ein Erbe, um das diese noch lange kämpfen musste. Ella Gutman ist am 16.6.1960 in der Schweiz gestorben.