Heinrich-Fuchs-Straße 96, 69126 Heidelberg

 

Fünf ukrainische und russische Zwangsarbeiter

Anatolij Bachatschow (1923 – 1944)

Aleksej Bjelow (1922 – 1944)

Pawel Chrebor (1923 – 1944)

Nikolaj Ewdokimow (1924 – 1944)

Wasilij Skorkin (1925 – 1944)

Zwangsarbeit im Deutschen Reich1

Wenn in Gedenkstunden an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird, bleibt eine Opfergruppe im Allgemeinen unerwähnt: die sog. „Fremdarbeiter“. Nach Schätzungen im Nürnberger Prozess wurden zwischen 1939 und 1945 ca. zwölf Millionen ausländische „Zivilarbeiter“ (ein Euphemismus) beschäftigt. Dazu kamen noch die Millionen InsassInnen von Konzentrationslagern und später vor allem die unzähligen sowjetischen Kriegsgefangenen, die Zwangsarbeit in Deutschland leisten mussten.

Die „Fremdarbeiter“ wurden in den besetzten Gebieten angeworben (zum geringsten Teil), zwangsweise rekrutiert oder einfach verschleppt. Es waren belgische, niederländische und französische StaatsbürgerInnen; die große Mehrheit kam aber aus Polen und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Sie wurden vor allem in der Landwirtschaft und in der Rüstungsindustrie, aber auch in anderen Wirtschaftszweigen gebraucht, um die als Arbeits­kräfte ausfallenden deutschen Soldaten zu ersetzen. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr Arbeitskräfte wurden benötigt und umso brutaler wurden auch die „Anwerbemethoden“, vor allem im Osten. Auch Kinder und Jugendliche wurden zur Zwangsarbeit in Deutschland verpflichtet.

Große Unternehmen, aber auch kleine Handwerks- und landwirtschaftliche Betriebe meldeten ihren Bedarf an „Fremdarbeitern“ an. Die ZwangsarbeiterIn­nen hatten keinerlei Einfluss auf ihren Einsatzort oder die Art ihrer Arbeit; ihre zi­vilen Rechte waren weitgehend eingeschränkt, ihre Lebensbedingungen miserabel. Das galt besonders für die ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa, die häufig in Barackenlagern auf dem jeweiligen Firmengelände untergebracht waren. Priva­te Kontakte zur deutschen Bevölkerung waren untersagt, das Firmengelände durften sie im Allgemeinen nicht verlassen, bei Bombenalarm nicht die Schutzräume aufsuchen. Polnische ArbeiterInnen hatten sämtliche Kleidungsstücke mit einem „P“ zu kennzeichnen, sowjetische mit „Ost“ (für „Ostarbeiter“). Osteuropäische „Fremdarbeiter“ wurden als „Untermenschen“ angesehen, deren Arbeitskraft bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutet wurde. Die bessere Behandlung westeuropäischer „Fremdarbeiter“ lässt sich damit erklären, dass sie als den Deutschen „artverwandt“ galten.

Zwangsarbeit in Heidelberg2

ZwangsarbeiterInnen wurden flächendeckend im ganzen Deutschen Reich eingesetzt – auch in Heidelberg und Umgebung arbeiteten Menschen aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Polen und der Sowjetunion in großen Unternehmen und Familienbetrieben. In der Kriegszeit von 1940 bis 1945 waren allein in Heidelberg insgesamt deutlich mehr als zehntausend ZwangsarbeiterInnen beschäftigt. Auf dem Friedhof in Heidelberg-Kirchheim zeugt ein großes Gräberfeld davon, dass 139 namentlich bekannte Männer und Frauen sowie 35 Kinder, dazu etliche unbekannte Männer, Frauen und Kinder ihre Heimat in Polen und der ehemaligen Sowjetunion nicht wiedergesehen haben. 33 WesteuropäerInnen wurden in Erdgräbern beigesetzt.3

Ein Unternehmen, das neben einheimischen Frauen hauptsächlich OsteuropäerInnen beschäftigte, war die Waggonfabrik Fuchs in Heidelberg-Rohrbach. Nach

 

Waggonfabrik Fuchs

den noch überlieferten Listen hat „Fuchs Waggon“, wie die Firma allgemein genannt wurde, in der Kriegszeit mindestens 300 ZwangsarbeiterInnen, vor allem aus Russland und Polen, über das Arbeitsamt Heidelberg angefordert. In den letzten Jahren ist auf dem ehemaligen Fabrikgelände ein modernes Wohngebiet entstanden, nur die Direktionsvilla erinnert noch an damals. Ursprünglich er­streckte sich das Firmengelände an der Bahnstrecke entlang (eigener Bahnanschluss) von der Heinrich-Fuchs-Straße im Süden bis zur Sickingenstraße im Norden und wurde im Osten von der Fabrikstraße begrenzt. Das Barackenlager der ZwangsarbeiterInnen lag im nördlichen Teil. Es existierte noch bis in die 1970er Jahre und wurde als Unterkunft für ArbeitsmigrantInnen, sog. „Gastarbeiter“, genutzt.

 

Arbeitskarte von Nikolaj Ewdokimow

 

Anfang der 1980er Jahre berichtete eine Frau aus der Straße Im Höllenstein, die während des Krieges in der Waggonfabrik gearbeitet hatte, wie erbärmlich es vor allem den sowjetischen ZwangsarbeiterInnen gegangen sei. Sie hätten immer Hunger gehabt und seien alle miteinander völlig unterernährt gewesen. Einige hätten sonntags heimlich das Firmengelände verlassen, um sich das Brot zu holen, das mitleidige Arbeiterinnen für sie an vereinbarten Stellen versteckt hätten.

Die Hinrichtung von fünf ukrainischen und russischen Zwangsarbeitern auf dem Gelände der Waggonfabrik Fuchs

Eines Tages, so berichtete diese Frau weiter, habe sich etwas Schreckliches ereignet: In der Mittagspause seien auf dem Firmengelände fünf junge Russen vor den Augen ihrer Landsleute erhängt worden, weil sie Lebensmittel gestohlen hätten (heute würde man das Mundraub nennen).

Im Archiv der Stadt Heidelberg sind nur spärliche und teilweise widersprüchliche Angaben über diese widerrechtliche Strafaktion zu finden:

  • Alle waren sowjetische Zwangsarbeiter aus Russland und der Ukraine.

  • Sie wurden am 28. August 1944 um 12:30 Uhr hingerichtet.

  • Todesursache: Erstickungstod.

  • Urteilsbegründung: Beraubung von Eisenbahnwagen.

Die Verurteilung der fünf Zwangsarbeiter erfolgte zu einem nicht mehr ermittelbaren Zeitpunkt im Sommer 1944. Nähere Angaben zu den angeblichen Tatumständen der „Beraubung von Eisenbahnwagen“ konnten nicht ermittelt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Ermittlungen gegen die Ermordeten von den Gestapostellen Heidelberg und Karlsruhe durchgeführt wurden. Auf Anordnung der Gestapo der Polizeileitstelle Karlsruhe wurde die Exekution auf dem Werksgelände der Waggonfabrik Fuchs vollzogen und musste gemäß den Durchführungsbestimmungen der Sicherheitspolizei aus dem Jahr 1943 durch die Zwangs­arbeiter selbst durchgeführt werden. Nach einer Zeitzeuginnen-Aussage „musste der jüngste Gefangene, der „kleine Stalin“, die Kisten umstoßen, auf denen die Verurteilten mit der Schlinge um den Hals standen“. Weitere ZwangsarbeiterInnen mussten der Exekution als abschreckendes Beispiel zusehen, auch Mit­glieder der Deutschen Arbeitsfront, der Gestapo und der NSDAP sowie MitarbeiterInnen der Waggonfabrik waren anwesend.

Alle Hingerichteten waren junge Männer zwischen 19 und 21 Jahren und hatten das Leben noch vor sich:

Anatolij Bachatschow wurde am 8. Februar 1923 in Kiew in der Ukraine geboren. Als Zwangsarbeiter war er vermutlich der Firma Graubremse im Pfaffengrund (heute Haldex in Wieblingen) zugeteilt. Anatolij Bachatschow wurde am 28. August 1944 im Alter von 21 Jahren gehenkt.

Aleksej Bjelow wurde am 2. Oktober 1922 in Kusnezowo in Russland, vermutlich Kreis Smolensk, geboren. Seit April 1942, als damals 19-Jähriger, war er als Zwangsarbeiter der Waggonfabrik Fuchs zugeteilt. Aleksej Bjelow wurde am 28. August 1944 im Alter von 21 Jahren gehenkt.

Pawel Chrebor wurde am 10. Februar 1923 in Trostjanez in der Ukraine, Kreis Su­my, geboren. Als Zwangsarbeiter war er vermutlich der Firma Graubremse im Pfaffengrund (heute Haldex in Wieblingen) zugeteilt. Pawel Chrebor wurde am 28. August 1944 im Alter von 21 Jahren gehenkt.

Nikolaj Ewdokimow wurde am 8. August 1924 in Nowaja-Derewnja in Russland, Kreis Leningrad, geboren. Sein Vater hieß Dmitrij Ewdokimow. Nikolaj Ewdokimow war von Beruf Schlosser. Seit April 1942, als damals 17-Jähriger, war er als Zwangsarbeiter der Waggonfa­brik Fuchs zugeteilt. In einer Akte von 1943 ist „Elektro-Schweißer“ als Tätigkeit vermerkt. Nikolaj Ewdokimow wurde am 28. August 1944 im Alter von 20 Jahren gehenkt.

 

Nikolaj Ewdokimow


Wasilij Skorkin wurde am 1. Januar 1925 in Ponyry in Russland, Kreis Kursk, geboren. Sein Vater hieß Aleksander Skorkin. Wasilij Skorkin war Bauer und Schüler. Seit Juni 1942, als damals 17-Jähriger, war er als Zwangsarbeiter der Waggonfabrik Fuchs zugeteilt. In einer Akte von 1943 ist „Elektro-Schweißer“ als Tätigkeit vermerkt. Wasilij Skorkin wurde am 28. August 1944 im Alter von 19 Jahren gehenkt.

 

Wasilij Skorkin

 

1 Die allgemeinen Angaben zu den ZwangsarbeiterInnen wurden großenteils entnommen aus: Hilde Kammer, Elisabet Bartsch: Jugendlexikon Nationalsozialismus. Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933-1945. Frankfurt a. M. 1984: Büchergilde Gutenberg.

2 Die Angaben zur Zwangsarbeit in Heidelberg stützen sich teilweise auf Informationen aus dem Stadtarchiv Heidelberg. Auch alle Abbildungen im Text stammen von dort.

3 Angaben nach Plan der Friedhofsverwaltung von 1946.