Kaiserstraße 42, 69115 Heidelberg

 

 Hermann Böning  (1894 – 1939)

 

Hermann Böning wuchs zusammen mit zwei jüngeren Brüdern in der mit dem Bahnbau Mannheim-Heidelberg 1840 sich entwickelnden Heidelberger Weststadt auf. Der Vater, Franz Böning, war als Kupferschmied bei der Bahn beschäftigt.

Nach 8 Jahren Volksschule wurde Hermann Böning Schlosser und 1912, nach dem Tod des gerade 49 Jahre alten Vaters, meldete er sich als Freiwilliger in ein preußisches Eisenbahn-Regiment in Hanau. Den Ersten Weltkrieg machte er in voller Länge mit; am Ende hatte er sich eine schwere Malariaerkrankung eingefangen. Danach ging er zur Reichsbahn und wurde Lokomotivführer.

1919 trat er dem Spartakusbund bei, 1920 der KPD. 1923, im Krisenjahr, wur­de er in den Heidelberger Stadtrat gewählt. Wegen Organisation einer verbotenen Demonstration am 6. Dezember 1923 erhielt er im Januar 1924 eine 6­mona­tige Gefängnisstrafe. Daraus folgte 1924 Berufsverbot und Verlust des Stadtratsamts. In den nächsten Jahren war er politisch und gewerkschaftlich im Heidelberg-Mannheimer Raum tätig. Bis 1929 arbeitete er zeitweise als Not­standsarbeiter und betätigte sich auch als Werber für die Mannheimer Arbeiterzeitung. 1929 wurde Hermann Böning für die KPD in den badischen Landtag gewählt. Nachdem er parallel in der KPD-Unterbezirksleitung in Karlsruhe arbeitete, lebte er auch in Karlsruhe und wurde 1930 in den Karlsruher Stadtrat gewählt. Mehrmals wurde er wegen verschiedener Übertretungen von Notstandsverordnungen, wie Versammlungs- und Demonstrationsverbot, sowie wegen Beteiligung an einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und KPD-Anhängern zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Im Frühjahr 1932 wechselte er auf Anordnung der Bezirksleitung der KPD in Mannheim als Instruktor in den Unterbezirk Lörrach-Waldshut. Als Anfang 1933 die Machtübertragung an die Nazis anstand, bemühte er sich, dies durch Aufrufe zur Erhebung der Werktätigen, nach Generalstreik und nach Zusammenschluss der Arbeiterparteien zu verhindern.

In der Folge des Reichstagsbrands vom 28. Februar 1933 wurde die KPD faktisch verboten. Hermann Böning versuchte, die politische Arbeit aus der Illegalität aufrechtzuerhalten. Er verlegte seinen Aufenthalt nach Basel. Von der Schweiz aus wollte er den politischen Zusammenhalt der Partei in Oberbaden erhalten, um weiter gegen den sich etablierenden Nationalsozialismus zu kämpfen. Dazu ging er vielfach mit falschen Papieren, heimlich und zum Teil verändertem Äußeren von der Schweiz hinüber in die nun feindliche Heimat, nach Waldshut, Singen, Freiburg, Kirchzarten, Villingen und Konstanz. In Gesprächen und Beratungen mit Einzelnen und Zellen und mit Hilfe von Packen geschmuggelter Flugblätter versuchte er, Widerstand zu organisieren. Am 5. August 1933 wurde er bei einer geplanten Zusammenkunft mit seiner Lebensgefährtin Maria Schnepf in der Nähe von Ettlingen festgenommen.

Im Bezirksgefängnis Karlsruhe musste er 15 Monate auf den Prozess warten. Mittwoch, den 30.01.1935, begann das Verfahren vor dem zweiten Strafsenat des Oberlandesgerichts in Karlsruhe. Vier Tage später, am 2. Februar, verkündete der Vorsitzende, OLGRat Kuttruff, „im Namen des Deutschen Volkes“ das Urteil: „Wegen Vorbereitung zum Hochverrat … in Tateinheit mit Urkundenfälschung“ eine „Zuchthausstrafe von 6 Jahren“, abzüglich „1 Jahr 3 Monate Untersuchungs­haft“ nebst „Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre“. Am 8. Februar 1935 wurde er im Männerzuchthaus Bruchsal inhaftiert.

„Der gewissenlose Hetzer Böning vor Gericht“ titelte eine Karlsruher Zeitung am 13. Februar 1935 und schrieb bedauernd, dass man Böning zwar leider nicht wegen „vollendeten Hochverrats“ hatte verurteilen können; aber der Nachweis der „Verbreitung von zu … hochverräterischen Handlungen auffordernden Schriften“ sowie die „Vorbereitung zum Hochverrat“ nach § 86 RStGB in Verbindung mit Urkundenfälschung (Böning hatte eine Fahrkarte mit einem anderen Namen versehen) hätten „ausgereicht“, um einen „gefährlichen Staatsfeind und gehässigen Gegner des nationalsozialistischen Staats für die nächsten Jahre unschädlich“ zu machen. Kaum war Hermann Böning im Zuchthaus, traf die Weisung des Geheimen Staatspolizeiamts Karlsruhe vom 13.04.1935 ein: „Der wegen Hochverrats im Männerzuchthaus Bruchsal inhaftierte kommunistische Funktionär Hermann Böning aus Heidelberg ist in Schutzhaft zu nehmen, sobald seine Strafe verbüßt oder erlassen ist …“

Ca. ein Jahr später, am 23. März 1936, versetzte, wie formuliert wird, das
Zuchthaus Bruchsal Hermann Böning „zur Entlastung des Männerzuchthauses Bruchsal“ in das Zuchthaus Ludwigsburg, konkret in die „Zweiganstalt Hohenasperg“, den Höllenbuckel, hinter dessen Mauern so viele bedeutende Menschen eingekerkert hatten leiden müssen, die gegen ihre jeweilige Staatsmacht sich wi­derständig gezeigt hatten. Seine Brüder wie auch Maria Schnepf, seine Lebensgefährtin, kümmerten sich um ihn. Und er plante für die Zeit nach der Haft, obwohl ihm die Schutzhaft-Weisung bekannt war; er hoffte, dass sie bei guter Führung aufgehoben werde. Mitte 1937 ließ er sich in die „Abteilung Korbmacherei“ verlegen, „im Hinblick auf (meine) spätere Existenz“, wie er schrieb. Er wollte die Gesellenprüfung in diesem Handwerk absolvieren und erklärte, er werde sich „nie mehr politisch betätigen“.

Seine Überlegungen und Absichten wurden durch keine Realität außerhalb des Zuchthauses mehr überprüfbar oder beantwortet: Genau 30 Tage vor seiner Entlassung, am 2. Oktober 1939, starb Hermann Böning. Die Akten besagen, es sei ein tödlicher Unfall geschehen; bei der Abfahrt des „anstaltseigenen Lastwagens“ vom Hohenasperg nach Asperg hinunter sei die Geschwindigkeit des Lkw nicht mehr zu kontrollieren gewesen; der „hintere Anhänger“, auf dem Hermann Böning mitfuhr, sei „beim Löwentor“ an die Wand geprallt, wodurch Hermann Böning wie auch weitere mitfahrende Häftlinge heruntergeschleudert worden seien; er habe dabei tödliche Verletzungen erlitten. Nach der amtlichen Untersuchung: Tod durch Schädelbruch. Soweit die amtliche Version, an der aber durchaus Zweifel bestehen.

Der Mutter Jakobine Böning, die seit Ende 1935 nicht mehr in der Kaiserstraße 42 in der Weststadt, sondern in der Schröderstraße 9 in Neuenheim wohnte, ging nachmittags am Todestag um 14:45 Uhr ein lapidares Telegramm zu: „Sohn Hermann heute tödlich verunglückt. Sofort kommen betr. Beerdigung. Zucht­haus“. Vermutlich am Nachmittag des 4. Oktober 1939 wurde Hermann Böning, vermutlich in Hohenasperg, im Beisein der Mutter und Brüder mit Familien (ob Maria Schnepf und die gemeinsame Tochter Berta dabei waren, ist nicht feststell­bar) beerdigt.

Nach Abzug der Beerdigungskosten von 78,00 RM verblieben von der Arbeitsbelohnung von 134,99 RM, die sich Hermann Böning in drei Jahren „ermalocht“ hatte, ein Rest von 56,99 RM, die an die Mutter ausbezahlt wurden. Der „Vorstand“ des Zuchthauses kam zu der Auffassung, dass dem Toten keine Rente zu „gewähren sei“, da er „auch in der Freiheit seinen Angehörigen offenbar keinen Unterhalt gewährt“ habe und er „keine entschädigungsberechtigten Angehörigen hinterlässt“.

Wie das Leben von Hermann Böning nach der Haftzeit geworden wäre, das wissen wir nicht. Seine Pläne: Heirat mit Maria Schnepf, Anerkennung von deren Tochter Berta als seine leibliche Tochter, Arbeit, möglicherweise gemeinsam mit seinem Bruder Franz auf eigener Hühnerfarm, auf jeden Fall ohne politische Akti­vitäten – so immerhin seine mehrfachen Einlassungen, das wären unerfüllte Wunschträume geblieben; es wäre anders gekommen. Mehrfach enthalten die Akten den Hinweis auf die an die Haft sich anschließende Schutzhaft; er wurde trotz (oder gerade wegen) verschiedener anderslautender Erklärungen immerzu als „fanatischer Kommunist“ eingeschätzt. Noch die schriftliche Nachricht aus Hohenasperg an die Geheime Staatspolizeileitstelle Karlsruhe über den tödlich verunglückten „Zuchthausgefangenen“ vom Tag des Todes schließt mit der bezeichnenden Bemerkung: nach der für 2. November 1939 vorgesehen Entlassung sei „Überhaft zwecks Übernahme in Schutzhaft vorgemerkt“ gewesen.